Ich weiß, dass es heutzutage nicht einfach ist Tag täglich von Menschen umgeben zu sein und positiv gestimmt zu bleiben. Vor allem nicht als Frau. Zumindest als Deutsche Frau ist man ständig dem „Lästermodus“ ausgesetzt. Da wird von Freundinnen und Kollegen eine andere Frau bis ins Kleinste analysiert, zäsiert und auseinandergenommen, weil sie ein zu kurzes, langes, rotes oder buntes Kleid trägt und das ins Büro, weil sie zu wenig Emotionen zeigt oder zu viele, weil sie zu laut lacht oder einen zu verkniffenen Mund hat, weil sie zu schrill, zu sexy, zu jung, zu alt, zu… ist. Wir regen uns oft über Vorgesetze oder Männer auf, bei denen wir nicht vorwärtskommen, weil wir zu ALLES sind, aber dass wir uns das gegenseitig antun ist nicht gut. Ich habe mir vorgenommen meiner Tochter zu liebe mehr dagegen anzugehen und eine positivere Sicht auf die Frauen an sich zu etablieren. Ich mache nicht mehr mit beim Kolleginnen-, Schwägerinnen-, Nachbarinnen- oder Verwandten-Bashing, ich passe.
Leider musste das eine Freundin etwas irritiert vor ein paar Tage ertragen. Sie wollte sich bei mir über ihre Schwägerin beschweren, weil die nicht passend genug für die Beerdigung ihrer Mutter gekleidet war und auch generell nicht genug getrauert hat. Ich bin dieses Mal nicht darauf eingegangen. Ich habe ihr gesagt, dass jeder anders trauert und die Schwägerin vielleicht vor lauter Beerdigungsorganisation noch nicht mal bis zur Trauer gekommen ist. Sie war vielleicht auch nur zu erschöpft für alles, denn sie hatte sich davor um ihre Mutter gekümmert. Das kostet Energie und wenn man dann keine Energie mehr hat sich „richtig“ zu kleiden oder nicht mal mehr genug um zu weinen, dann darf niemand sich darüber ein Urteil erlauben. Das Einzige was gut und richtig wäre, wäre diese Frau in den Arm zu nehmen und ihr ein aufrichtiges herzliches Beileid zu wünschen und ihr mit der Umarmung zu zeigen, dass sie nicht allein ist.
Warum mich die Geschichte meiner Freundin so aus der Bahn geworfen hat? Weil ich genau wusste, wie es der anderen Frau ging. Mein Vater ist gestorben, als mein Sohn 2 Jahre alt war. Davor habe ich über 2 Jahre fast täglich mit meinem Vater abends nach der Arbeit telefoniert und mir seine Ängste und Sorgen angehört, denn bei ihm wurde kurz nach der Geburt meines Sohnes ein unheilbarer Krebs diagnostiziert. Es war eine der härtesten Zeiten meines Lebens. Ich war frischgebackene Mutter eines Frühchens und statt mich auf dieses Abenteuer mit all meiner Kraft und Freude zu stürzen blieb für meinen Sohn nur ein wenig Restenergie, weil der Rest in die Arbeit und das Dasein für meinen Vater geflossen ist. Ja, auf der Beerdigung meines Vaters hatte ich einfach ein Kleid getragen, das ich noch hatte und ich weiß nicht mal, ob ich geweint hatte, denn ich habe, bis es soweit war die Beerdigung vorbereitet mit meinem Vater über seine Ruhestätte am Friedhof reden müssen und ich musste zuschauen, wie dieser Mann von einem starken Mann zu einem knochigen Nichts zerfiel. Ich war energetisch am Ende. Wer sich auf der Beerdigung auch nur ein Urteil über mich angemaßt hätte, wäre einfach nicht fähig Empathie zu empfinden. So hätte ich das gesehen. Ich habe Menschen gebraucht, die positiv aufs Leben blicken, die das Gute in allem finden können und nicht auch noch das Haar in der Suppe suchen, die sie schon fast ganz aufgegessen haben. Diese positiven Menschen geben einem Kraft und saugen nicht auch noch die Restenergie ab, die man hat.
Mir hat die Wichtigkeit von Frauensolidarität auch eine Folge von Grey’s Anatomy aufgezeigt. Es ging dabei um ein Vergewaltigungsopfer. Diese Frau wurde von einer Ärztin die ganze Zeit über an der Hand festgehalten, sie hat ihr beigestanden alle Untersuchungen durchzustehen, als sie dann aber operiert werden musste und den Raum, in dem sie sich so sicher geborgen fühlte, verlassen musste, hat man den Gang räumen lassen und dieser wurde von weiblichen Mitarbeiterinnen des Krankenhauses gesäumt. Diese Frauen bildeten ein Solidaritätsspalier, einen sicheren Weg für ein Opfer. Das hatte so viel Kraft, das diese aus dem Fernseher heraus zu spüren war. Und da habe ich mich gefragt, warum gibt es das so wenig im wahren Leben. Warum investieren wir Frauen so viel Energie in uns Verurteilen statt diese in gegenseitige Unterstützung zu stecken? Haben wir Angst, dass wir, wenn wir nett sind noch mehr Verantwortung im Leben für noch mehr Menschen übernehmen müssen? Was hält uns davon ab das Positive in anderen Frauen und das Positive in uns zu sehen? Ich muss das auf jeden Fall wieder lernen und zwar weil ich eine Tochter habe, die wieder in einem Klan von Frauen aufwachsen soll. Eine Tochter, die immer ein weibliches Auffangnetz haben wird. Männer brauchen wir als Partner, aber um die Schwierigen Momente zu durchstehen, sei es die erste Periode, das erste Mal, die Depression nach der Geburt, die Fehlgeburt, die Überforderung als Mutter, etc. Das sind alles Dinge, die nur Frauen kennen und verstehen. Und wir brauchen uns gegenseitig, damit wir wissen, dass wir nicht allein sind und dass wir normaler sind, als uns oft bewusst ist. Dass unsere Ängste weit verbreitet sind, aber dass man diesen entwachsen kann und gestärkt rauskommt, weil Frau nicht allein ist. Frauen brauchen optimistische und lebensbejahende Frauen in ihrem Leben, denn dann wird das Leben ein größeres Abenteuer, als wir uns das selbst je zugestanden hätte.
In diesem Sinne fühlt euch umarmt.
9. August 2019